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So sein wie die anderen – soziale Bewährtheit

Das Prinzip der sozialen Bewährtheit ist ein Konzept aus der Sozialpsychologie, das sich mit der Tendenz von Menschen befasst, sich an den Handlungen, Meinungen und Verhaltensweisen anderer in einer gegebenen Situation zu orientieren, um das eigene Verhalten zu bestimmen oder zu legitimieren. Dieses Prinzip spielt eine bedeutende Rolle in der menschlichen Interaktion, Gruppendynamik, Werbung, politischen Prozessen und vielen anderen sozialen Kontexten.

Die Grundidee der sozialen Bewährtheit basiert auf der Annahme, dass Menschen ein angeborenes Bedürfnis haben, sich in sozialen Situationen anzupassen, um akzeptiert zu werden. Sie suchen nach Bestätigung ihrer Gedanken, Gefühle und Handlungen durch die Zustimmung und Anerkennung anderer. Dieses Bedürfnis nach sozialer Bewährtheit beeinflusst maßgeblich das individuelle Verhalten sowie die Entscheidungsprozesse.

Der Begriff „soziale Bewährtheit“ wurde erstmals in den 1950er Jahren von Solomon Asch, einem bekannten Sozialpsychologen, geprägt, der das Phänomen der Konformität erforschte. In einem seiner berühmtesten Experimente zeigte Asch, wie Menschen in Gruppensituationen dazu neigen, ihre eigenen Wahrnehmungen und Überzeugungen zu ändern, um mit der Mehrheit übereinzustimmen, selbst wenn diese Meinung offensichtlich falsch ist. Das Prinzip der sozialen Bewährtheit lässt sich auf verschiedene Weise erklären und manifestiert sich in verschiedenen Situationen:

1. Normative Einflüsse: Menschen passen sich oft den sozialen Normen und Erwartungen an, um Akzeptanz und Zugehörigkeit zu erfahren. Diese Normen können explizit (klar ausgesprochen) oder implizit (unausgesprochen, aber verstanden) sein. Ein Beispiel hierfür ist die Kleiderordnung bei formellen Veranstaltungen. Individuen kleiden sich entsprechend den Erwartungen der Gruppe, um nicht aus der Menge herauszustechen oder um nicht unpassend zu wirken.

2. Informationelle Einflüsse: Menschen nutzen auch das Verhalten und die Meinungen anderer als Informationsquelle, um die Realität zu interpretieren und danach Entscheidungen zu treffen. Wenn mehrere Personen dieselbe Meinung vertreten oder ein bestimmtes Verhalten zeigen, neigen Individuen dazu anzunehmen, dass diese Meinung oder Handlung richtig oder angemessen ist. Dies kann beispielsweise in Situationen auftreten, in denen Menschen unsicher sind und sich an anderen orientieren, um Hinweise auf angemessenes Verhalten zu erhalten.

3. Identität und Selbstkonzept: Soziale Bewährtheit beeinflusst auch die Konstruktion des Selbstkonzepts und der Identität eines Individuums. Menschen identifizieren sich oft mit bestimmten Gruppen oder sozialen Kreisen und passen ihr Verhalten entsprechend an, um mit diesen Gruppen in Einklang zu stehen und ihre Zugehörigkeit zu stärken. Diese Anpassungen können sich auf die Sprache, Kleidung, Interessen und Werte erstrecken. Beispiele sind Fans eines Sportvereins, ein „Zeichen setzen gegen XY“, aktuelle Symbole beim eigenen Profilbild, Modetrends u. v. m.

4. Selbstwertgefühl und Belohnung: Die Bestätigung durch andere kann einen positiven Einfluss auf das Selbstwertgefühl eines Individuums haben. Wenn jemand Zustimmung und Anerkennung von anderen erhält, kann dies zu einem gesteigerten Gefühl von Selbstwert und Zufriedenheit führen. Dies kann dazu führen, dass Menschen sich gegen eigene Überzeugungen und Werte an die Normen und Erwartungen der Gruppe anpassen, um diese positiven sozialen Rückmeldungen aufrechtzuerhalten.

5. Konformität und Abweichung: Obwohl das Streben nach sozialer Bewährtheit oft zu Konformität führt, gibt es auch Situationen, in denen Menschen bewusst von der Norm abweichen. Dies kann durch individuelle Überzeugungen, Werte oder den Wunsch nach Selbstausdruck motiviert sein. In den meisten Fällen ist dazu Mut erforderlich, da jede Abweichung von der erwünschten Handlung zu Konflikten führen kann. Da viele Menschen Konflikte scheuen werden sie ohne persönlichen Mut stets die Konformität bevorzugen.

Das Prinzip der sozialen Bewährtheit hat weitreichende Implikationen für verschiedene Bereiche des menschlichen Lebens:

Soziale Medien: Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter nutzen soziale Bewährtheit als Kernprinzip, um das Verhalten der Benutzer zu beeinflussen. Likes, Kommentare, und Follower-Zahlen dienen als Indikatoren für Beliebtheit und sozialen Status, die wiederum das Verhalten und die Interaktionen der Benutzer beeinflussen können.

Gruppendynamik: In Gruppensituationen beeinflusst die soziale Bewährtheit das Verhalten der Mitglieder und kann dazu führen, dass sie ähnliche Ansichten und Verhaltensweisen annehmen. Dies kann zu einer verstärkten Gruppenbindung führen, aber auch zu Gruppendenken und der Unterdrückung abweichender Meinungen führen. Bei großen Menschenmassen kann dieses Phänomen zu ansonsten unerklärlichen Phänomenen führen.

Politik und öffentliche Meinung: Politiker und Meinungsführer nutzen oft das Prinzip der sozialen Bewährtheit, um Unterstützung für ihre Positionen zu gewinnen. Wenn eine Meinung als weit verbreitet oder populär angesehen wird, sind Menschen eher geneigt, sie zu akzeptieren oder zu unterstützen, selbst wenn sie nicht unbedingt mit ihr einverstanden sind.

Öffentliche Meinung: Die Medien stellen die allgemeine Realität her. Daraus entsteht die Illusion der Mehrheitsmeinung. Auch wenn es oft nur eine Minderheitenmeinung darstellt, passen sich die Menschen aus oben erklärten Gründen der publizierten Sichtweise an. Dadurch kann dann tatsächlich eine echte Mehrheitsmeinung entstehen.

In den meisten dieser Situationen erfolgt die Anpassung unbewusst, sie ist tief in uns sozialen Wesen angelegt. Jede Abweichung erzeugt Spannung und mögliche Konflikte. Menschen, die sich treu bleiben möchten, benötigen immer wieder persönlichen Mut, um diesen Mechanismus zu durchbrechen. Darüber hinaus ist es notwendig, dass in den jeweiligen Situationen der wirkende Konformitätswunsch (es ist viel eher ein Wunsch als Druck) wahrgenommen wird. Hilfreich dafür ist eine ganz bestimmte Art der inneren Achtsamkeit, die sehr gut trainiert werden kann. Wenn der Moment der eigenen Entscheidung (Ausbruch aus dem Muster) klar erkannt wird, so entstehen neue Handlungsoptionen.